St. Galler Tagblatt – Das Experiment hat begonnen

19. 12. 2006

 

Der St.Galler Trickfilmer Simon Oberli steckt mitten in der Arbeit zu seinem zehnten Trickfilm. Ein Werkstatt-Besuch verspricht ein bittersüsses Kammerstück über einen Wahnsinnigen und einen Psychiater. «Meine Geschichten haben immer einen Anfang und einen Schluss », sagte Simon Oberli einmal in Anspielung auf den Trend zu abstrakten Animationsfilmen. «Sigmund, Bonaparte », der zehnte Film des jungen Trickfilmers, ist die Geschichte eines Experiments: Was passiert, wenn man einen Psychiater und einen Geisteskranken ein Jahr lang gemeinsam in einen Raum einsperrt. «Die Geschichte zum Film habe ich während der RS, vor drei Jahren, in zwei Tagen geschrieben. Seither entwickle ich das Design und die Trickfilmtechnik. Als die Figuren in Cinema4D animierbereit waren, entschied ich mich doch für einen Puppentrickfilm », sagt der 26-Jährige. Welche Auswirkungen der Militärdienst auf den Plot hatte und wie sehr die eigenen Erfahrungen auf die Figuren abgefärbt haben, wird sich zeigen müssen. Simon Oberli will den Schluss seines Films partout nicht verraten.
 
Abrechnen mit Klischees
Bonaparte, in fescher Uniform und mit Orden dekoriert, fuchtelt mit seinem Säbel durch die Luft, wie es sich für einen irren Typen gehört, der glaubt, Napoleon zu sein. Der Psychiater blickt derweil vielsagend unter seinen dicken Augenbrauen hervor €“ auch ohne Mund. «Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob das die richtige Entscheidung war », sagt Oberli. Aber haben die Figuren erst einmal laufen gelernt und die ersten Szenen sind abgedreht, ist es zu spät für Änderungen. Dank VisarteOst und Saiten kann sich Oberli im Obergeschoss des Projektraumes exex für ein halbes Jahr zurückziehen. Die technischen Geräte hat er sich mit Werbefilmen fürs Fernsehen finanziert oder von befreundeten Trickfilmern ausgeliehen. Oberli spielt eine fertige Sequenz aus «Sigmund, Bonaparte » vor. Psychiater und Patient stehen sich in einem weiss gekachelten Raum gegenüber. Einziger Lichtblick ist ein grüner Baum vor dem Fenster. «Mit dem Baum und seiner Veränderung im Verlauf der vier Jahreszeiten kann ich das Verstreichen der Zeit optisch am besten sichtbar machen. »
Der harmlose Schein der lustigen Knetfiguren trügt. Oberli ist bekannt dafür, dass er seine Filme bitterböse enden lässt, mit Klischees abrechnet und skurrile Geschichten erfindet. «Der Liebesfilm » (2002) führte das Publikum mit flatternden Schmetterlingen und himmlischen Harfenklängen aufs Glatteis. Wenn Amors Pfeil trifft, kommt bei Simon Oberli nicht immer Liebe dabei heraus. Tiere und Computer werden keine gequält, beim «Zauberer » (2001) muss dafür fast die ganze Menschheit nach einem Atombombenabwurf dran glauben. Auf seiner Homepage wird bei einem 3D-Animations-Testfilm einer Elfe ein Klebeband zum Verhängnis. Düster sind die Filme deswegen nicht. Häufig schwingen Anspielungen auf Hollywood-Streifen wie E.T. oder Star Wars als dezente Lachnummern mit. Die Musik ist nicht sein Ding, dieses Mal kommt sie von Silvan Lassauer. Der «Hollow-Man » ist bekannt für schräge Klänge.
 
Detailversessen
Von Film zu Film hat sich Oberli technisch und filmisch weiterentwickelt. «Die Puppen zu animieren macht mir am meisten Spass », sagt Oberli. Der gelernte Möbelschreiner ist detailversessen, wie es sich für einen Trickfilmer gehört. Das Medium Trickfilm vereinigt die Ausdrucksmittel fast aller Kunstformen: Malerei, Bildhauerei, Literatur, Musik, Grafik, Typografie, Fotografie, Objektkunst. Der Fantasie sind fast keine Grenzen gesetzt, jeder Gedanke lässt sich auf den Punkt bringen. Die Konzentration von komplexen Inhalten auf wenige Sekunden ist die grosse Stärke des Trickfilms. Bei Simon Oberli dauert ein Jahr vier Minuten. Und nichts ist mehr wie es scheint. Nathalie Grand